Santorini

SKR Reisemagazin

13.05.2019

Der Athos wirkt nach


Im Leben gibt es manchmal Ereignisse, auf die man lange zugeht und die zugleich das Ende einer Vorbereitung und den Beginn eines neuen Wegabschnittes markieren.

Berg Athos

Ein solches Ereignis war mein viertägiger Aufenthalt auf dem Berg Athos vom 3. - 7. 9. 2004. Die Reise zum Berg Athos hatte begonnen, lange bevor ich den Entschluss dazu fasste. Sie ist Teil jener Suche, die ohne konkrete Erwartung beginnt, die nicht auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet ist, die aber letztendlich ein nie erwartetes Geschenk hervorbringt.

Eine erste Begegnung mit dem geheimnisvollen Berg gab es auf dem Schiff von Ouranopolis zum russischen Kloster Panteleimonos. Dort wollte ich an Land gehen. Neben mir saß ein junger Mönch in langer schwarzer Kutte. Auf der Brust trug er ein auffälliges Medaillon, von dem ich zunächst annahm, es solle eine besondere Funktion im Kloster betonen. Den Gedanken verwarf ich schnell. Dies traute ich ihm wegen seines Alters - ich schätzte ihn auf 35 Jahre - nicht zu. Wegen einer Unklarheit bemühte ich die Landkarte und tauschte mich mit Günter aus, meinem Mitpilger, der eine andere Anlegestelle ausgewählt hatte. Er wollte den Gipfel des Berges Athos besteigen. Der Mönch schaltete sich freundlich in unsere Gespräch ein, erklärte uns auf Deutsch, die für mich maßgebliche Anlegestelle, sein Kloster Panteleimonos, sei noch nicht erreicht. Deutsch, so erklärte er auf unsere Frage, habe er aus Büchern gelernt.
Die weithin sichtbaren grün-goldenen Zwiebeltürme kündigten das russische Kloster an. Beim Verlassen des Schiffes kamen ihm Mitbrüder entgegen, küssten ihm die Hand, nahmen sein Gepäck entgegen und begleiteten ihn ins Kloster. In temperamentvollen Gesten begrüßten sie ihn, nicht unähnlich Kindern, die sich über die Rückkehr ihres abwesenden Vaters freuen. In einem feierlichen Zug wurde er in die Kirche geleitet, wo ein Begrüßungsritual begann, zu dem alle Pilger freundlich eingeladen wurden. Er bestieg, eingehüllt in priesterliche Gewänder, den Stuhl des Abtes. Da stand ich nun mit meinem Klischee. Seine Mitbrüder hatten ihm, als sie ihn zum Abt wählten, offenbar mehr zugetraut als ich.

Dankbar über den freundlichen Empfang machte ich mich auf. Vor mir lag ein langer Weg zum Kloster Xenofontos. Auf Kiesbänken zu gehen, auf schmalen Pfaden durch die Macchia, der Mittagssonne ausgesetzt; fiel mir zunächst nicht schwer. Ich stand noch ganz unter dem Eindruck des gerade erlebten stimmungsvollen „Vorspiels“ zu einem großartigen Theaterstück.
Nun war ich alleine in ungewohnt fremder Umgebung, aber inmitten der ungewohnten Natur, zu der ich eine Verbindung spürte.
Das Gefühl, alleine zu sein aber nicht einsam, ist mir von vielen langen Wanderungen bekannt. Auf dem Weg nach Santiago de Compostela bin ich etliche Wochen alleine gegangen, habe aber immer wieder Freunde gewonnen, mit denen ich ein Stück des Weges gemeinsam zurück gelegt habe. Alleine zu gehen, in Begleitung zu gehen, beides hat einen eigenen Wert. Gemeinsam einen Weg zu erleben, sich austauschen zu können über das innere und äußere Erleben, kann eine bestehende Freundschaft vertiefen oder zu neuen Freundschaften hinführen. Das Alleinsein hingegen macht unabhängig, eigene Grenzen erfährt man viel unmittelbarer, Angst und Enttäuschung, z. B. über den falsch eingeschlagenen Weg, müssen alleine erlebt und verarbeitet werden. Die Herausforderung an die eigenen Fähigkeiten ist groß, weil ein helfender Begleiter nicht zur Seite steht. Dies wird allerdings aufgewogen durch das Geschenk, den Weg schweigend und konzentriert auf das eigene Erleben gehen zu können. Das Alleinsein kam mir nach dem Aufenthalt in der Gruppe sehr entgegen. Den Wunsch von Günter, ein anderes Ziel, nämlich den Athos-Gipfel, anzugehen, konnte ich deshalb ohne Bedenken mittragen. Im übrigen haben wir, als wir uns am Sonntag in der Skite vom Heiligen Andreas in Karyes trafen, zueinander gefunden, Gedanken und Erlebnisse ausgetauscht und festgestellt, dass jeder auf seine Weise beschenkt worden war.

Im Kloster Xenofontos ließ ich den steinigen Aufstieg zum Innenhof , dann den Innenhof selbst mit den Kuppeln des Katholikons und dem alles überragenden wehrhaften Turm auf mich wirken. Ich benutzte die kurze Pause, um meine Wasserflasche wieder aufzufüllen, denn Wasser war angesichts der sengenden Hitze lebensnotwendig.

Weiter ging es dann zum Kloster Dochiariu, das sich wie ein Märchenschloss mit seinen Schieferdächern und Kaminen, Balkonen und Loggien an den Berg schmiegt. Hier wurde ich, gemeinsam mit anderen Pilgern, zur Verehrung der wundertätigen Panagia-Ikone
( Gottesmutter) eingeladen.
In der dunklen, nur durch eine Kerze beleuchteten Kapelle, trat mir ein auf den Putz gemaltes Marienbild entgegen, dessen Bedeutung sich mir zunächst nicht erschloss. Die ehrfürchtige Haltung der griechischen Pilger, die in Stille vor der Panagia verweilten, sie mit Küssen verehrten und vor ihr Kerzen entzündeten, ließ mich erstmals erahnen, welch hohe Bedeutung die Ikone in der religiösen Welt der Orthodoxie hat. „Wenn sie das Foto eines geliebten Menschen mittragen und dieses Foto dann und wann anschauen, dann nicht wegen des materiellen Wertes dieser Aufnahme. Für sie verkörpert sich der abgebildete Mensch in diesem Foto. Sie tragen nicht ein Stück Fotopapier mit einem Bild mit sich, sondern den abgebildeten Menschen selbst“, so erklärte ein Mönch Sinn und Inhalt der Ikone für den orthodoxen Christen. Gott, Christus, die Gottesmutter, die Heiligen bleiben letztlich Geheimnis im Glauben. Sie können mit dem Wort oder in der Kunst niemals erfassbar gemacht werden. Der Ikonenmaler muss das Geheimnis mit seinen beschränkten Mitteln zum Ausdruck bringen. Der orthodoxe Christ nimmt im Glauben durch die Verehrung persönlich Kontakt auf zu den dargestellten Personen. Wo immer die Orthodoxie den Glauben verkündet, legt sie ihr Zeugnis von der Gottesberührung durch Ikonen ab.

Vom Kloster Dochiaru machte ich mich auf zum Kloster Kostamonitu, meiner Unterkunft am ersten Abend. Ein steiler Aufstieg in der sengenden Hitze, der viel Kraft kostete. Vom Kloster war zunächst nichts zu sehen. Der Weg zog sich endlos dahin. Zweifel, ob ich auf dem richtigen Weg sei, mischten sich mit der Befürchtung, das Kloster zu verpassen. Vor jeder Biegung die Erwartung, dahinter das Kloster auftauchen zu sehen. Als sich endlich die Spitzen der ersten Zypressen zeigten, war ich erleichtert. Menschliche Behausungen konnten nun nicht mehr weit sein. Als erstes sah ich die eingestürzte Kuppel einer großen Kirche. Wiederum die Befürchtung, noch nicht am Ziel zu sein. Als dann endlich die farbige Kuppel einer weiteren Kirche sichtbar wurde und der Weg auf einen Klostereingang hinwies, konnte ich durchatmen. Für heute war meine Kraft erschöpft. Vom Gästepater wurde ich freundlich empfangen, er überreichte mir zur Begrüßung das auf dem Athos übliche Gedeck: ein Glas Wasser, einen Uzo, eine Süßigkeit sowie eine Tasse Kaffee.
Nachdem ich mich ins Gästebuch eingetragen hatte, zeigte er mir freundlich, aber bestimmt, ein am Ausgang angebrachtes nicht zu übersehendes Schild: „Nichtorthodoxen ist es untersagt, mit den Orthodoxen gemeinsam den Gottesdienst zu feiern und gemeinsam mit ihnen zu essen“!
Ich war auf diese Haltung vorbereitet und fand eine Einstellung dazu. Die Mönche als Gastgeber setzen die Regeln, und die Gäste haben dies zu respektieren. Meine Fragen an den Geist dieser Haltung sind damit allerdings nicht beantwortet. Ich war müde und froh, für diesen Tag eine Unterkunft gefunden zu haben. Der Not gehorchend erklärte ich also mein Einverständnis. Wie sich herausstellte, war es oberflächlich; meine Fragen gingen weiter. Hat jemand, der sich auf Jesus Christus beruft und die Angehörigen anderer Konfessionen in dieser Weise ausgrenzt, das Gebot der Liebe verstanden? „Wer einen Gast empfängt, empfängt Christus!“, so sagt der heilige Benedikt, der Vater des westlichen Mönchtums. Da lebt doch tatsächlich auf dem Athos die fixe Idee weiter, dass es Rechtgläubige und Häretiker gibt. Offensichtlich war ich hier über Zeloten gestolpert, über Eiferer und Hüter des orthodoxen Glaubens, denen es wichtiger ist, die Erinnerung an Vorgänge um das Schisma im 11. Jahrhundert zu pflegen, als die Hand zur Versöhnung auszustrecken. Gott sei dank ist die Zahl der Klöster auf dem Athos, die diese Haltung pflegen, gering. Wir Menschen gehen viele unterschiedliche Wege, aber letztlich alle zum selben Ziel.
Bei uns westlichen Christen besteht allerdings kein Grund, hochmütig auf diese Mönche herab zu sehen. Elitäre Einstellung, Ausgrenzung, Fundamentalismus gibt es in allen Religionen, ja in allen auf Macht und Unterwerfung aufgebauten Systemen. So ist man bei kritischer Reflexion der Praktiken der „lateinischen Kirche“ schnell ernüchtert. Ich denke daran, wie sie durch die Jahrhunderte mit den von ihr als Ketzer abgestempelten Menschen umgegangen ist und heute noch umgeht. Wenn ich daran denke, wie weltweit kritische Theologen mundtot gemacht werden, ja ihnen nicht einmal das Recht eingeräumt wird, ihre Auffassung zu begründen und zu verteidigen, dann ist für Überheblichkeit gegenüber Orthodoxen kein Platz.
Griechische Pilger, die mit mir das Zimmer teilten, distanzierten sich von dieser Praxis und nahmen mich kameradschaftlich in ihren Reihen auf. Ihre pragmatische Haltung: „Dem Herrgott ist es gleichgültig, ob du orthodox oder katholisch bist“!
Das Gefühl, nach einem solchen Tag ein Bett zu haben und sich darauf ausstrecken zu können kann nur ermessen, wer selbst die Anstrengungen eines langen Wandertages in fast unerträglicher Hitze „genossen“ hat. So war dann auch der Tag nach dem Abendbrot gegen 18:30 Uhr zu Ende.

Zur feierlichen Vesper nahm ein Mönch neben mir auf einer Bank neben der Kirche Platz. Er hatte den Gottesdienst unterbrochen, was, wie ich auch an den kommenden Tagen feststellen konnte, nicht unüblich ist. Nach dem Austausch der üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin hatte ich offenbar seine Neugier geweckt, als er erfuhr, dass ich aus Deutschland angereist war. Er stellte viele, auch ausgefallene persönliche Fragen, z. B. ob meine Kinder auch beten würden. Er schien mir ausgesprochen wissbegierig zu sein und wollte u. a. wissen, ob meine Heimatkirche einen Kirchturm hätte, ob meine Frau Probleme damit hätte, dass ich alleine den Berg Athos besuche, wie viele Menschen am Sonntag die Kirche besuchen, ob die Mönche im Westen sich rasieren etc.. Unter anderem wollte er wissen, ob ich auf dem Athos bisher Probleme gehabt hätte. Hier sah ich mich nun aufgefordert, ihm zu verdeutlichen, dass ich mit der ausgrenzenden Praxis seines Klosters Probleme hätte. Ich berief mich auf den biblischen Christus, der für alle Menschen aller Zeiten gekommen sei. Seine Miene wurde nachdenklich, er wurde einsilbig. Das sei eine zu schwierige Frage, so meinte er, stand auf und ging.
Gegen 3:30 Uhr erklang die hölzerne Stundentrommel ( ein Brett, auf dem mit einem Holzhammer in rhythmischen Schlägen das Signal zum Gottesdienstbeginn gegeben wird). Ohne den Mönch zu sehen, konnte ich dennoch seinen Weg durch den Klosterhof verfolgen. Mal nah, mal fern, so klang es durch die dunkle Stille. Als die Griechen den Raum verließen, um den nächtlichen Gottesdienst zu besuchen, habe ich mich, nicht ohne ein wenig Schadenfreude, umgedreht und weiter geschlafen.

Noch einmal bin ich in einem anderen Kloster einem alten Mönch begegnet, der mich ebenfalls auf Rechtgläubigkeit hin testete und dann schweigsam wurde, als er mich als „Katholikus“ identifizierte. Die Ablehnung hatte sich offenbar so tief in seine alte Seele eingenistet, dass auch er in mir den „Antichristen“ sah.

Von Kastamonitou machte ich mich am Samstagmorgen nach einen Frühstück, das für die Mönche das Mittagessen war, auf den Weg. Es war mir nicht gelungen, einen Blick in die Kirche zu werfen.
Der Weg nach Esphigmenou, wo ich übernachten wollte, ist teilweise identisch mit dem Weg zum Kloster Vatopediou. Er bestand zunächst aus einem mit Steinen ausgelegten Eselspfad, der durch dicht bewachsenes waldiges Gebiet führte. Diesen Weg zu gehen wurde für mich von Schritt zu Schritt zu einem größeren Erlebnis, und zwar in erster Linie für meine Nase. Ich bin nicht in der Lage, Düfte so zu beschreiben wie Patrik Süskind in seinem Roman „Das Parfum“, aber es war so unbeschreiblich wohltuend, dass ich den Duft mit dem einer frischen, mit Mittelmeerkräutern überzogenen Pizza verglich. Zudem war der Weg lange nicht begangen und deshalb so zugewachsen, dass ich unter einem Schattendach gehen konnte. An einer Weggabelung machte ich Rast und genoss die wohltuende Stille. Kein Mensch war mir bisher auf dem Weg begegnet. Ich entschied mich, nicht nach Esphigmenou zu gehen. Mein Bedarf an Ausgrenzung war gedeckt. Die Mönche dort sind als orthodoxe Hardliner bekannt, die sogar den Patriarchen von Konstantinopel wegen seiner ökumenischen Gesinnung aus dem Kanon ihrer Gebete gestrichen haben.
Nun war ich auf dem Weg nach Vatopediou, einem Kloster an der Ostküste der Insel. Es sollte sich herausstellen, dass ich richtig entschieden hatte.
Meine Entscheidung für diesen Weg musste ich zunächst teuer bezahlen. Er führt über weite Strecken steil bergab, ist schmal wie ein Eselspfad und voller loser Steine, bevor er in einem weit geschwungenen Bogen am Meer entlang in ein repräsentatives Tor in der Klostermauer mündet. Wahrlich kein bequemer Weg. Dennoch genoss ich den Abstieg, war ich doch bisher überwiegend den Berg hinangestiegen und häufig der Sonne ausgesetzt.

Ich kam vom Höhenweg hinab und sah unten in der weiten offenen Bucht das Kloster liegen, das dem vom Berg herabsteigenden Wanderer wie eine kleine an eine vom Meer aufsteigende Anhöhe angeschmiegte Stadt erscheint. Noch war das Ziel nicht erreicht. Mal sah ich das Kloster und glaubte, ganz in seiner Nähe zu sein, mal entzog es sich meinem Blick und war längere Zeit nicht zu sehen. Es war wie in den Alpen. Man hat die Hütte vor Augen, und dann verschwindet sie wieder, bis man sie nach endlos erscheinender Zeit erreicht.
An der Pforte empfing mich ein Mönch in gutem Deutsch. Sein staunendes Gesicht bezog sich auf meine offenkundige Erscheinung als Wanderer. Nach seiner Haltung zu urteilen ist das Wandern bei den Griechen nicht sehr beliebt. Dies wurde in diesem Augenblick bestätigt, denn vor der Klosterpforte hielt ein Kleinbus, aus dem eine größere Gruppe griechischer Pilger ausstieg.

Meine Frage, ob ich am Gottesdienst teilnehmen könne, erstaunte ihn offenkundig. Hier gäbe es für Nichtorthodoxe keine Verbannung hinter die Schranken. Sein Ja kam von Herzen und es erreichte mein Herz. Ich fühlte mich angenommen. Welch ein Kontrast zu der abweisenden Haltung in Kastamonitou! Seinen Hinweis, morgen sei Sonntag sei und deshalb daure der Gottesdienst etwas länger, empfand ich zunächst nicht als bedrohlich. Die Zeit allerdings, von 3:00 Uhr bis 9:30 Uhr ( 6 ½ Stunden! ), machte mich nachdenklich, gilt doch bei uns eher die Regel, je kürzer umso besser! Im Kloster dann der übliche Ablauf; zur Begrüßung Getränke und eine kurze Erklärung der Regularien. Dann der erste Blick aus dem Fenster auf die kleine Stadt. Zuerst fiel mir die rege Bautätigkeit auf. Uralte eingefallene Dächer wurden erneuert, Wege wurden ausgebessert, im Innenhof herrschte lebendige Aktivität. Ein Zeichen des Aufbruchs, wie später von einem jungen Mönch, der uns durch die Kirche führte, bestätigt wurde. Stolz teilte er uns mit, dass die Familie gewachsen sei. 100 Mönche sind zur Zeit im Kloster, vor allem eine recht große Zahl junger Männer.

Im Anschluss an die etwa 1 ½ Stunden dauernde Vesper zogen Mönche und Pilger in einem feierlichen Zug in die Trapeza ( Speisesaal ) zum Abendessen. Welch ein großartiger Raum! Der langgezogene Saal, sicher für weit über hundert Gäste ausgelegt, war über und über bis in die gewölbte Decke hinein mit Ikonenfresken bemalt, deren leuchtende Farben äußerst frisch wirkten. Das vegetarische Essen war reichhaltig und sehr fantasievoll zusammen gestellt. Während des Essens wurde von einer Kanzel herab aus einem geistlichen Text vorgelesen, ein Zeichen dafür, dass das Essen offenbar als Fortsetzung des Gottesdienstes verstanden wird. Die anschließende Führung durch die Kirche, die Sinndeutung der Ikonen und Reliquien, die freundlichen Erklärungen des jungen Mönches ( seine Heimat ist Cypern ); alles Zeichen der Zuwendung zu den Pilgern und Offenheit für ihre Fragen und Interessen.

Angesichts der „Drohung“ mit dem lange dauernden Gottesdienst in der Nacht habe ich mich um etwa 19:00 Uhr schlafen gelegt.
Um etwa 4:30 Uhr betrat ich die Kirche zum nächtlichen Gottesdienst. Sie war nur durch wenige Kerzen und Öllampen erleuchtet. Die Goldgründe der vielen Ikonen spiegelten das Licht der vor ihnen aufgestellten Kerzen wieder und schufen so eine mystisch-geheimnisvolle Stimmung. Sie war Teil einer „Dramaturgie“, die dem Menschen etwas vom Jenseits durch die Verklärung des Diesseits vermitteln soll. Dazu trägt auch der Gesang der Mönche bei, bei dem die Melodie zurück tritt zugunsten der endlos lang erscheinenden Texte, die den Zuhörer mitnehmen sollen auf den Weg in eine andere Sphäre. Der Gesang wird fast zum Sprechgesang, der sich in die stimmungsvolle Gesamtatmosphäre einfügt.
Ich habe ab und zu verstohlen auf die Uhr geschaut. Gegen 6:00 Uhr hatte ich Mühe, dem Geschehen zu folgen. Ich habe dann zunächst einmal den Rückzug angetreten und bis 7:00 Uhr geschlafen. Die beiden Griechen auf meinem Zimmer hatten es ebenso gemacht.

Der Gottesdienst war um 9:00 Uhr zu Ende. Sowohl körperlich als auch geistig für diejenigen, die während der gesamten Zeit anwesend waren, eine beachtliche Leistung.
Nach dem Frühstück setzte eine sorgfältig vorbereitete Planung eines Mönches zum Rücktransport der Pilger nach Daphni, dem Haupthafen der Republik, ein. Natürlich per Auto. Kein Mensch ging zu Fuß! Meinen ursprünglichen Plan, mit dem Schiff weiter zu fahren und ein weiteres Kloster zu besuchen, ließ ich fallen und entschied mich, mit dem „Taxi“ mitzufahren und in Karyes, der für mich letzten Station auf dem Wege, Halt zu machen.
Gegen 11:00 Uhr erreichte ich - nach halsbrecherischer Fahrt auf der „Straße“ - Karyes, das Verwaltungszentrum („Hauptstadt“) der Mönchsrepublik. Nach dem äußeren Zustand dieser Stadt hätte ich eher auf eine „Geisterstadt“ getippt. Aber weit gefehlt! Hier herrschte reges Leben. Geländewagen, Busse, PKW`s, von Mönchen gesteuert, kamen an, entluden ihre Fracht, nahmen neue auf und fuhren ab. Viele auf den Bus wartende Wochenendpilger hielten sich in der Stadt auf. Die Hauptstraße ist von Geschäften unterschiedlicher Art, vor allem Devotionalienläden, gesäumt. Mein Blick fiel auf die einzige Taverne. „Kaffee“, war mein erster Gedanke. Ihn hatte ich an allen Tagen schmerzlich vermisst.
Nach einem längeren Aufenthalt in der Taverne machte ich mich auf den Weg zur Skite vom Heiligen Andreas, am Ortsrand von Karyes gelegen. Welch ein trauriger Anblick! Ein weites Gelände, mit eingefallenen Bauten übersäht, Kirchen, Kapellen, Zellentrakt, alles dem Verfall ausgesetzt. Zum Teil waren die Gebäude innen mit Stützen gesichert und bestimmte Wege für Besucher gesperrt. Hier und da sah man einzelne Mönche bei Restaurierungsarbeiten, m. E. auf verlorenem Posten angesichts der erdrückenden Last an Bauschäden.
Meine Stimmung war gedrückt, änderte sich aber nach dem freundlichen Empfang durch den Gästepater, der mir ein Zimmer zuwies, in dem Günter schon auf mich wartete. Jeder hatte auf seine Art den Berg Athos erlebt, mit unterschiedlichen Zielen vor Augen, auf unterschiedlichen Wegen gehend.
Das Abendessen war genussvoll zusammen gesetzt, wurde aber in Eile verschlungen. Die Mönche gaben das Tempo vor, die Pilger mussten nachziehen. Schade! Günter trauerte den entgangenen Genüssen nach, ich bekam Durchfall.
Auch in Sankt Andreas war der nächtliche Gottesdienst ein Höhepunkt des Aufenthalts, wenngleich ich mir in der riesigen Kirche im Kreis der wenigen Mönche etwas verloren vorkam.
Was finde ich noch erwähnenswert?
Der Mönch, ein Mensch auf dem Rückzug aus der Welt, um auf dem Berg in eine „Nabelschau“ zu verfallen? Seine eigene „Seligkeit“ durch Gebet und Askese vorzubereiten? So habe ich diese Menschen nicht erlebt. Der Berg insgesamt und jedes Kloster sind lebendige Gemeinwesen, in dem jeder Mönch seinen Platz und seine Aufgabe hat. Wer sich hier der Sorge für seine Mitmenschen oder der Sorge für die Erhaltung des Lebensraumes entzieht, wird schnell in eine kontemplative Lethargie verfallen und feststellen, dass er auf dem falschen Wege ist.
Der Friedhof der Mönche. Größer kann ein Kontrast zwischen dem, was ich dort gesehen und empfunden habe und dem was ich sehe und empfinde, wenn ich einen Friedhof bei uns betrete, nicht sein. Das Grab auf dem Athos liegt irgendwo am Rande des Klostergeländes, ist schmucklos und kaum beachtet. Ein durch ein wenig Erde markierter Hügel deutet an, dass hier ein Mensch beerdigt wurde. Die dort liegende menschliche Hülle ist ohne Bedeutung, an ihr wird nicht durch äußere Zeichen, wie pompösen Grabschmuck, festgehalten. Ein grob gezimmertes Holzkreuz mit dem Namen des Verstorbenen und eine kleine Laterne bezeichnen ein Viereck auf der Erde, mehr nicht! Wichtig ist das ganz andere!
Abschied vom heiligen Berg
Irgendwann, irgendwo auf dem Berg, ist ein Licht angegangen, ist ein Funke übergesprungen. Ich spüre, wie sehr mich das alles bewegt hat. Ein unvergessliches Erlebnis, eine intensive Begegnung, ein Geschenk. In Daphni hält das Schiff, es gewinnt an Fahrt. Nach etlichen Stopps kommt Ouranopolis mit seinem weithin sichtbaren Turm an der Hafeneinfahrt näher. Hektisches Getriebe bringt mich in den Alltag zurück. Trennung? Nein! „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagt der kleine Prinz. „Was im Herzen verbunden ist, kennt keine Trennung“, füge ich hinzu.
Noch eine Tasse Kaffee an der Anlegestelle. Das Interesse der Gruppe an unseren Erlebnissen ist groß. Die Stille wäre angemessen. Aber gerne gebe ich von meinen Geschenken etwas ab.

Autor:
Ferdinand Kaufmann
vom 28.04.2005


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